Wo die Pilze in den Bergen wachsen

Text von Jessica Heller
Bilder von Jessica Heller

Der Herbst ist die Zeit der Pilze. Alex Lussi und seine Familie sehen das anders. Ihre Edelpilze dürfen, mit etwas Salz und Pfeffer verfeinert, auf keinem sommerlichen Grill fehlen. Und roh über Salate gestreut, entfaltet der gelbe Austernpilz sein volles Aroma während dem ganzen Jahr. Denn im Berg ist immer Saison.

Es regnet in Strömen, als ich auf den Parkplatz einbiege. Ich kenne das Rotzloch: das Industriegebiet zwischen Burgruine und Alpnachersee. Ich weiss, dass im Innern des Berges Bahnschotter abgebaut worden ist. Danach reifte dort Käse. Seit 2016 ernten nun Alex Lussi und seine Mitarbeiter auf einer Fläche von 1000 m2 Pilze. Lussi empfängt mich herzlich, der Regen scheint ihm nichts auszumachen: «Meine Eltern haben mit dem Anbau von Austernpilzen auf dem eigenen Hof begonnen», erzählt er. «Das Sortiment habe ich nun Schritt für Schritt an verschiedenen Standorten erweitert. Im Moment produzieren wir im Rotzloch 25–30 Tonnen pro Jahr, insgesamt sind es 120–130 Tonnen.» Zu Beginn sollten die Pilze im elterlichen Betrieb eine Ergänzung zur Milch- und Viehwirtschaft sein. Als sich 2006 die Frage der Nachfolge stellte, reiste Alex als Erstes nach Holland, dem Pilzmekka Europas. Schliesslich wollte der gelernte Flugzeugmechaniker wissen, worauf er sich einliess. Aus den geplanten 6 Wochen Praktikum wurden 12 Monate. Nun leitet er die Geschicke der «Gotthard Bio Pilze AG», welche nicht nur im Rotzloch, sondern auch in Oberdorf und Erstfeld produziert. Sein Bruder Urs unterstützt ihn dabei, die edlen Kräuterseitlinge, Shiitakes und Austernpilze auf den Tellern des Landes zu platzieren.

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Weite Hallen

Bei der Tavolago ist das ehrgeizige Vorhaben bereits geglückt. Sie wurde durch die Medien auf die biologischen Edelpilze der Familie Lussi aufmerksam. Die beiden Brüder passten bestens zur Philosophie der regionalen Produzenten. Eine Gruppe von etwa 20 Einkäufern sowie die Küchenchefs der einzelnen Betriebe besuchten die Höhle. Und staunten. Vielleicht geht das jedem so, der die weiten Hallen zum ersten Mal betritt. Auch mir verschlägt es die Sprache. 1000 m2 Nutzfläche, umgeben von Stein. Ich denke sofort an Moria, das im Berg gebaute Zwergenreich aus «Herr der Ringe». Wir durchqueren die erste Höhle, in welcher sich der sogenannte «Kulturraum» befindet. Lussi erklärt, dass dort die Aufzucht der Pilze mit Substraten beginne, bei 18 Grad. Substrate sind viereckige Blöcke bestehend aus Sägemehl, Getreide und Pilzsamen: «Eine der grossen Herausforderungen sind die Rohstoffe. Wir produzieren biologisch, darum sind wir auf das einwandfreie Mischwerk angewiesen. Für die Austernpilze stellen wir die Substrate selbst auf dem Hof her. Für die anderen arbeiten wir mit Partnern zusammen.» Damit die Pilze zu wachsen beginnen, werden die Blöcke «angekratzt».

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Dann startet Phase 2. Am Ende der Halle angelangt, stösst Lussi eine der drei Türen auf. Zum Vorschein kommt ein weiterer Raum mit meterlangen eisernen Regalen. Vorne spriessen kleine organische Formen, weiter hinten sehe ich, um was es sich dabei handelt: Kräuterseitlinge. Hier, bei etwas tieferen Temperaturen, verlangsamt sich der Reifungsprozess, damit die Pilze dicht werden und ihr ganzes Aroma entfalten.

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Kneif mich bitte

Als ob ich nicht genug beeindruckt wäre, führt mich Alex in die obere Etage, wo sich das Bild wiederholt: viel Raum, meterlange Regale, diesmal leer. Sobald der Markt es zulässt, werden auch sie gefüllt. Die Idee, Pilze in einer Höhle anzubauen, entstand 2007 in Pennsylvania: «Dort stiess ich zum ersten Mal auf eine unterirdisch angebaute Zucht und dachte mir, das ist auch in der Schweiz möglich.» Alex begann mit dem Anbau von Shiitakes 2013 in den ehemaligen Munitionsbunkern der Ruag AG in Erstfeld. Da verschiedene Sorten sowohl unterschiedliche Bedingungen für ihr Wachstum brauchen als auch räumlich getrennt sein müssen, werden die Kräuterseitlinge seit 2016 im Rotzberg angebaut.

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Das schlagkräftigste Argument, Pilze im Berg wachsen zu lassen, ist die Temperatur. Lussi und sein Team produzieren CO2-klimaneutral. Der Stein lässt im Sommer das Thermometer nie über 14 Grad steigen, im Winter hingegen speichert er die Wärme und fällt nicht unter 11 Grad. Auch die Höhe ist wichtig, damit der Sauerstoff zirkuliert. Erneut durchqueren wir die Hallen, die schwere Eingangstür fällt hinter uns ins Schloss. Ich reibe mir die Augen, der Tag scheint heller als zuvor. Ich vergewissere mich, dass ich nicht geträumt habe: Bodenschätze im Herzen des Berges

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