Der Urnerboden

Text von Jessica Heller
Bilder von Jessica Heller

Auf einer grossen Alp trifft traditionelle Milchwirtschaft auf Innovation, um dem Markt mutig zu begegnen. Um sich als urchige Bergregion im weiten Land zu behaupten. Um faire Lebensumstände zu schaffen. Und der Rückblick wird zum Ausblick.

Die Sonne hat die letzten Nebelfelder bereits vertrieben, als ich die vielen Spitzkehren zum Klausenpass erklimme. Bequem mit dem Auto versteht sich. Eine Kuhherde unterbricht meine Fahrt. Die Tiere sind mit farbigen Kränzen geschmückt: zum Dank, für einen Sommer ohne Zwischenfall. Auf der Passhöhe angekommen, bleibt wenig Zeit, um das Panorama zu geniessen. Um 11 Uhr wird im Urnerboden der Käse gewendet. Der Urnerboden liegt auf der anderen Seite des Berges Richtung Glarus. Er ist die grösste Weide der Schweiz. Auf 18 km2 Land tummeln sich 1'000 Kühe von etwa 40 Älplern. Ich staune nicht schlecht, als mich die frei umherlaufenden muhenden Tiere lautstark begrüssen. Es gibt keine Zäune, sie haben Vortritt. Immer. Im Herzen des kleinen Ortes steht die moderne Alpkäserei.

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Trotz ihrer Grösse fügt sie sich nahtlos in die urchige Landschaft ein. Der Kampf um den Milchpreis machte 2005 auch hier nicht Halt. Die gesunde Alpmilch sollte für wenig Geld in der Industrie verschwinden. So taten sich die Älpler zusammen, um nach Lösungen zu suchen. 2012 gründeten sie die «Alpkäserei Urnerboden AG». Seit 2014 werden dort etwa 700'000 Liter lokale Milch während den Sommermonaten zu feinen Spezialitäten verarbeitet. Für einen fairen Preis.

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Rückblick

Als ich eintreffe, ist Betriebsleiter Martin bereits 6 Stunden auf den Beinen. Überschuhe und eine Haube auf dem Kopf später, befinde auch ich mich mitten im Geschehen. Die Alpmilch wird 2 Mal täglich frisch geliefert. Am Morgen steht die Käseproduktion auf dem Plan, am Nachmittag das Yoghurt. Martin und seine Frau Michaela haben den klimaneutralen Betrieb mit Überzeugungskraft und Improvisationsgeschick aufgebaut.

«Zu Beginn hatten wir nichts. Jeden Löffel, jede Tasse musste ich organisieren.»
Michaela Stadelmann

Bei einem Tee in der gemütlichen Wohnung erinnert sich Michaela an die turbulenten Zeiten: «Wir starteten mit 18'000 Liter Milch am Tag, die Martin gemeinsam mit einem anderen Käser verarbeitete. Den Überschuss gaben sie ab. Ich war für den Alpladen zuständig. Zu Beginn hatten wir nichts. Jeden Löffel, jede Tasse musste ich organisieren. Ausserdem stellten wir uns ohne ein Produkt bei potenziellen Kunden im Detailhandel vor. Zuerst musste der Käse ja reifen.» Martin verbrachte die Jahre vor dem Urnerboden sowohl auf einer kleinen Alp im Maderanertal als auch in verschiedenen grösseren Betrieben, wo er sein Handwerk perfektionierte. Bis heute wird der fleissige Tüftler nicht müde, stetig neue Produkte zu entwickeln. Die feinen Kreationen sind mittlerweile so beliebt, dass sie ab und an ausverkauft sind.

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Ausblick

Martin setzt sich ebenfalls zu uns. Pausen sind während des Sommers selten, 12-Stunden-Tage die Regel. Es ist nicht einfach, ein gutes Team für die Saison von Juni bis September zu finden. Viele unterschätzen die harte Arbeit. Martin lacht: «Im zweiten Jahr wollte ein Mitarbeiter am Wochenende wegfahren. Uns kam das seltsam vor. Als wir die Tür zu seinem Studio öffneten, war alles weg. Er hatte das Weite gesucht.» Nach 6 Jahren Urnerboden ist auch für die Familie Stadelmann Schluss. Sie werden zurück in die Heimat, nach Luzern, ziehen und die Alpkäserei ihrem Nachfolger übergeben: «Wir brauchen mehr Zeit für die Familie, zu Beginn hatten wir noch keine Kinder. Jedoch tut der Abschied auch weh.»

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Vermissen werden sie die Älpler und die Freiheit, welche der ursprünglichen Landschaft anhaftet. Direkte Kundenkontakte und die damit verbundenen Geschichten werden ebenfalls fehlen: «Ich erinnere mich gut, als die Tavolago uns zum ersten Mal besuchte. Wir machten gerade Raclettekäse und sie waren begeistert von der rechteckigen Form der Laibe. Für die Gastronomie ist jene besser, da es bei der Verarbeitung weniger Abschnitt gibt. Also stellten wir unseren Alpkäse, welcher normalerweise rund ist, mit Ecken her. In der Taube ging jener einmal aus. Spontan stieg ich auf meinen Töff und lieferte direkt von der Alp in die Küche. Unter den Augen der belustigten Gäste.» Mit einer prall gefüllten Tasche feinster Spezialitäten verabschiede ich mich. Im Schritttempo geht es Richtung Passstrasse. Hinter einer prächtig geschmückten Kuhherde.

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