“Zoolo, Zoolä - Chum!”

Text von Jessica Heller
Bilder von Jessica Heller

Die Stimmen der Schwestern hallen von den steilen Felswänden wieder. Glockengebimmel. Die Alplämmer biegen um’s steinige Eck. Sie wissen: es wartet «Gläck». Und die eine oder andere Streicheleinheit. Mensch und Tier kennen sich gut. Sie sind Teil des selben beständigen Kreislaufs der Natur. Seit Jahrzehnten.

Früh morgens in Wassen: Die Berge werfen lange Schatten auf die eng geschwungene Strasse. Ich bin mit den Schwestern Regula und Iris Baumann verabredet, gemeinsam werden wir zur Göschneralp fahren. Eine halbe Stunde später halten wir neben dem grossen Stausee. Einige Fischer hoffen auf den morgendlichen Fang, die letzten Nebelschwaden weichen der Sonne. Wir marschieren los, nach oben auf die Alp. Dort warten 200 Schafe.

Mindestens einmal pro Woche machen sie sich auf den Weg um die Tiere, welche den Sommer zwischen Gletscher und steilen Felshängen verbringen, zu «hirten». Als ich mein Interesse bekundete, die Alplämmer für die Tavolago zu besuchen, stand eine Frage im Raum: Bist du gut zu Fuss? Selbstverständlich - war meine überraschte Antwort. Ich kann wandern. Nun wird mir langsam klar, warum jene Frage so wichtig ist. Eine Stunde lang laufen wir auf schmalen Wegen, im zügigen Tempo. Schon als Kinder haben die Schwestern ihren Vater zu den Schafen begleitet, sie kennen jeden Stein. Auf der Alp angekommen, verlassen wir die Wege. Klettern über Felsbrocken, abschüssige Kreten entlang, wie Bergggeissen oder Alplämmer. Beeindruckt blicke ich zu den beiden Frauen, die behände den Berg hoch sprinten.

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Der Sommer der Baumanns

Die Schafe gehören zu der Familie wie die steinige Landschaft zum Kanton Uri. Als Vater Baumann sieben Jahre alt war, bekam er drei Tiere geschenkt: Er dürfe sie nur behalten, wenn er gut auf sie Acht gebe. Das tat er. Und vergrösserte stetig seine Herde. Zuerst in Wassen, dann auf der Göscheneralp. Mittlerweile ist eine Zweite, die Voralp hinzugekommen.

Dort kümmern sich die Schwestern Regula und Iris um weitere 150 Schafe. Der Unterschied: Hier wandert man etwa eine Stunde bis zur Naturweide. In der Voralp, dauert ein Weg drei Stunden. Der Kreislauf der Schafhaltung ist immer der Selbe: Im Januar werfen die Muttertiere ihre Lämmer. Im Juni geht es für alle gemeinsam auf die Alp. Je nach Bedarf vergrössern die Baumanns die Herde mit weiteren Jungtieren. Während dieser Zeit schaut die Familie abwechslungsweise nach dem Rechten. Ende September geht es wieder hinunter ins Tal.

Es ist ein Geben und Nehmen: Die Tiere sorgen für eine offene Landschaft, sie pflegen die Erde. Ohne sie, würde sich die stärkste Pflanze durchsetzen, die Alpweiden monoton werden. Die Baumanns führen ein authentisches Leben in der Natur, die schroffe Landschaft und die Liebe zu den Schafen als Ausgleich zum Alltag. Im Laufe der Zeit sind sie zu Beobachtern geworden: Der Rückgang des Gletschers mache ihnen besonders Sorgen. So setzten sie sich ein: für eine gesunde natürliche Alpwirtschaft.

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Der Kreislauf der Natur

«Zoolo, Zoolä - Chum! Chum da chum!» Iris Stimme hallt von den steilen Bergwänden. Ich traue meinen Augen kaum: Die Lämmer und Auen kommen. Zahme Tiere. Diese Nähe ist wichtig. Sie ist die Voraussetzung, um die freilaufenden Gruppen, die nirgends eingezäunt sind, im Herbst von der Alp zu holen:

«Wir müssen eine Beziehung aufbauen. Nur wenn die Schafe zahm sind, können wir sie zählen und alle im Herbst wieder sicher ins Tal bringen.»
Iris Baumann, Schafhirtin auf der Göscheneralp

Die Schwestern haben «Gläck» dabei, welches sie auf den Steinen verteilen: Gläck ist Rohfutter angereichert mit Salz. Schliesslich müssen die Tiere belohnt werden. Wir streifen im grossen Gebiet umher, rufen, belohnen, zählen. Und im Herbst? Da wird es ernst, die Alplämmer sind Nutztiere. Früher vergossen die Baumann-Kinder ab und an eine Träne, wenn die Metzgerei wartete. Heute gehört die Verarbeitung des Fleisches zum Kreislauf der Natur dazu. Als vor 6 Jahren die Zusammenarbeit mit der Tavolago begann, hatte die Familie eine Bedingung: Nicht nur die feinen Koteletten sollten auf die Tische kommen, sondern das ganze Lamm. Für die Gastronomen aus Luzern kein Problem: Das Naturfleisch findet in den verschiedensten Gerichten Platz, es gibt kaum Überschuss. Es ist eine persönliche Entscheidung, ob Fleisch auf dem eigenen Speiseplan steht. Falls man sich dafür entscheidet, dann genau so, wie ich finde. Ich bin beeindruckt davon, mit wie viel Liebe, Leidenschaft und Respekt die Baumanns ihre Tiere hegen und pflegen. Die Sonne verschwindet langsam hinter den Bergen. Noch machen wir uns alleine auf den Weg ins Tal.

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