Der frühe Vogel fängt den Teig

Text von Jessica Heller
Bilder von Jessica Heller

Mit einem frisch gebackenen Brötchen in den Tag starten, es gibt wohl nichts Besseres. Damit der Genusslevel bereits früh morgens maximal ist, wird anderswo fleissig gearbeitet. Die ganze Nacht hindurch.

Der Abend verläuft ungewohnt: Ich esse früh, Netflix ist tabu und gleich zwei Wecker sollen um 2.50 Uhr klingeln, sicher ist sicher. Mitten in der Nacht werde ich einen Ort besuchen, wo sich alles um wohlriechenden Hefeteig und knusprige Brotlaibe dreht: die Produktion der Bäckerei Hänggi in Rothenburg. Das Traditionsunternehmen beliefert diverse Grosskunden und führt ausserdem fünf eigene Filialen in und um Luzern. Kein Wunder also, dass das hell erleuchtete Gebäude bereits brummt, als mich Inhaber Damian Hänggi bestens gelaunt um vier Uhr früh willkommen heisst. Es ist höchste Zeit, denn die Spedition verteilt bereits Sandwiches, Ruchbrot und vieles mehr auf verschiedene Kleinlaster, um pünktlich auszuliefern. In der grossen Backstube wechseln sich Kneten, Streuen und Formen ab. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Dabei ist das tägliche Brot des Bäckerberufes hart geworden. Zahlreiche kleine Betriebe müssen schliessen. Hänggi erklärt, dass die administrativen staatlichen Vorschriften immer aufwendiger werden. Kleine Teams können die zusätzliche Zeit im Büro kaum bewältigen. So geht jedes Jahr auch wertvolles Wissen verloren und trotzdem backen sie teilweise nach wie vor noch nach traditionellen Rezepturen.

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    Damian Hänggi, Inhaber der Bäckerei Hänggi in Küssnacht am Rigi
    Wir verkaufen den Menschen Freizeit, die sie sparen, wenn sie nicht in der Küche stehen wollen.

Gezwirbelt

Paul und Martin bestücken Brötchen mit frischen Kernen, Mohamed schiebt Backbleche in den Ofen und Produktionsleiter Felix zwirbelt zusammen mit Chef Hänggi Brote, wie ich sie vom Frühstück im Tisch + Bar in Erinnerung habe. Jene bestehen aus Ruchmehl und einem eigens ausgetüftelten Natursauerteig: Bei den ersten Versuchen mischte Hänggi Milchschokolade mit dunkler Kuvertüre, um sowohl den Säure- als auch den Süssegrad der feinen Masse zu bestimmen. Selbst ein Liebhaber von Kakao nahm er an, dass derselbe Wert auch für den Genuss von Brot relevant sei. Sieben Jahre lang experimentierte er, um einen Sauerteig herzustellen, bei welchem einem das Wasser im Munde zusammenläuft. Die Zwirbeltechnik sei ausserdem Wellness für den Teig, so bleibe er luftig und leicht. Der Unternehmer erklärt, dass es heute jedoch nicht mehr genüge, gutes Brot zu backen. Bereits vor Jahren erkannte er, dass die Kunden in den Filialen rund um die Uhr verköstigt werden wollen: mit Birchermüesli am Morgen, Salaten, Sandwiches und warmen Menüs am Mittag, mit leckeren Kuchen für den «Gluscht» und einem Feierabendbrot vor Ladenschluss: «Wir verkaufen den Menschen Freizeit, die sie sparen, wenn sie nicht in der Küche stehen wollen.» Während den Sommerferien, wenn Schulen und Bürohäuser etwas ruhiger sind, geht es auch in den Geschäften gelassener zu und her. Dann sind feste Partner wie die Tavolago besonders wichtig, um die Produktion konstant am Laufen zu halten.

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Feiermorgen

Wenn der morgendliche Verkehr auf den Autobahnen langsam Fahrt aufnimmt und die Pendlerzüge ins Rollen kommen, beginnt für die Bäcker der Nachtschicht ihr Feierabend. Oder eher ein Tag, welchen sie verschlafen, um pünktlich um 11 Uhr abends wieder putzmunter auf der Matte zu stehen? Hänggi wehrt meine Vermutung vehement ab und erzählt von der Zeit, als er selbst ausschliesslich in der Backstube stand, die Zeit vor der Unternehmensführung: «Damals war mein Ausgleich das Windsurfen. Um 2 Uhr nachmittags war die Thermik jeweils perfekt und ich hatte den See für mich alleine. Den Schlaf habe ich vor und nach den ausgiebigen Sessions eingezogen. Wirklich viel davon brauche ich sowieso nicht.» Die Nachtschicht bringt viele Vorteile: wenig Verkehr, eine ruhige Umgebung und viel freie Zeit während des Tages. Ausserdem arbeitet in Rothenburg ein grosses Team zusammen, welches keine Isolation oder Einsamkeit zulässt. Explizite Muntermacher gibt es keine: «Meine Bäckerinnen und Bäcker sind Nachtmenschen, brauchen nicht viel Schlaf und geniessen es, während des Tages flexibel zu sein.» Abends denke ich noch oft an das brummende, hell erleuchtete Gebäude im Dunkeln. Daran, dass Menschen starten, währenddessen ich meinen Tag ausklingen lasse. Verschobene Zeit.

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