Die strahlende Leidenschaft

Text von Jessica Wirth
Bilder von Jessica Wirth

Bergkristalle sind älter als der Mensch. Sie entstanden durch die Faltung der Alpen vor 14 bis 18 Millionen Jahren, bei Temperaturen um 400 Grad, mitten im Berg. Erst im Tageslicht zeigen die funkelnden Prismen ihre ganze Schönheit. Die aussergewöhnlichsten Exemplare, die kommen aus dem Urnerland.

Hohe Berge dominieren die Landschaft. Steil zulaufende Felswände, die sich unerbittlich aufbauen, um ihre Schatten in’s Tal zu werfen: graue schwarze und weisse Farbspiele so weit das Auge reicht. Es ist eine faszinierende Gegend zwischen roher Natur und unberührter Schönheit. Einsam, je höher man kommt. Inmitten der Felsen haben Elio Müller und Franz von Arx ihr kleines Lager aufgeschlagen. Da, wo niemand ist. Für etwa vier Monate im Jahr ist der Planggenstock in der Göschneralp ihr Arbeitsplatz, die beiden sind Strahler. Sie suchen nach Kristallen. Franz ist ein Pionier der Strahler-Gilde. 1993 entdeckte er zusammen mit seinem damaligen Partner Paul die Anzeichen einer Kluft im harten Felsen des Planggenstocks. 12 Jahre und 150 Kubikmeter abgetragenen Gesteins später, wurden sie fündig. Tief im Innern des Berges stiessen sie auf eine 300 kg schwere Kristallgruppe. Das gab es noch nie. Paul setzte sich zur Ruhe und Franz hielt nach einem neuen Gefährten Ausschau. Elio hatte sich bereits in jungen Jahren mit seinem feinen Gespür für Bodenschätze einen Namen gemacht, die beiden kannten sich gut. Sie entschlossen sich, zusammen zu spannen. Den Schritt, das Strahlern zum Beruf zu machen, sollte Elio nicht bereuen.

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Der Nase nach

Elio wuchs in Silenen auf, umringt von weiten Wäldern und steilen Felsen. Diesen Abenteuerspielplatz, welcher sich ganz selbstverständlich vor ihm ausbreitete, erforschte er in jeder freien Minute - ohne Ziel. Bis zu dem Tag, als er eine Kristallspitze fand. Daran erinnert er sich genau: «Sie lag offen auf dem Weg und zog mich so in ihren Bann, dass ich alles darüber wissen wollte.» Die Strahlerei zählt im steinigen Uri zur Tradition. Nachdem Elio nächtelang Bücher und Heften gewälzt hatte, begleitete er schon bald die Etablierten auf ihren Touren. Obwohl die meisten Orte von mehreren Generationen bereits abgesucht waren, fand Elio weitere Schätze. Dieses Talent blieb auch Franz von Arx nicht verborgen, der ein Freund der Familie war. Heute stossen die beiden gemeinsam in die Tiefen des Planggenstocks vor. Ohne gierig zu werden, das betont Elio: «Wenn du nach wochenlanger Arbeit einen Deckel wegnehmen und den Kristallen Licht geben kannst, ist das ein unbeschreiblicher berührender Moment. Dabei musst du die Ruhe bewahren und die Ehrfurcht vor dem Berg. Denn er gibt dir seine Schätze.»

«Wenn du nach wochenlanger Arbeit einen Deckel wegnehmen und den Kristallen Licht geben kannst, ist das ein unbeschreiblicher berührender Moment.»
Elio Müller, Strahler

Nach dem aussergewöhnlichen Fund 2005 war es 2008 erneut soweit: Franz und Elio borgen 2.5 Tonnen Bergkristall. Einige davon waren bis zu 1.20 m lang. Eine Sensation für den damals erst 21 Jahre jungen, frisch gebackenen Strahler und seinen erfahrenen Partner.

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Reifezeit

Heute arbeiten Elio und Franz während den Sommermonaten von Montag bis Freitag in einer Kluft, etwas unterhalb der altbewährten Fundorte, die 70 Meter in den Berg hinein führt. Sie schlafen in einer kleinen Hütte, die sich neben dem Eingang befindet, in 2600 m Höhe auf einer schmalen Felskante. Das Handwerk hat sich im Laufe der Jahrhunderte wenig verändert. Abgetragen wird mit dem Strahlerstock, mit Meissel und Hammer, dem Spitzeisen oder einem Feustel. Etwas Technik ist hinzugekommen, ab und an kommt ein Bohrer zum Einsatz. Den Sensationsfunden folgten ausgiebige Durstrecken, wo die staubige harte Arbeit unbezahlt blieb. Die Längste dauerte 4 Jahre. Dann den Mut nicht zu verlieren, ist eine grosse Herausforderung: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die ertragslosen Perioden genau so wichtig sind, wie die Funde selbst. Plötzlich ist die Zeit reif und du birgst wieder Kristalle. Erzwingen kannst du nichts, und das ist gut so.»

Die vielseitigen Schätze zeigt Elio in seiner Ausstellung in Altdorf, auf Mineralienbörsen oder im Ship Shop der SGV in Luzern. Beim Kauf eines Kristalls kommt die einzigartige Geschichte seiner Bergung gleich mit. Elio erinnert sich an jeden einzelnen Fund. So wird er weiter graben, um die uralten Bergkristalle an’s Tageslicht zu befördern - damit sich die Herzen daran erfreuen.

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